Andreas Rößler über den neuronaler Empfänger

Technik im Fokus

"Der bedeutendste Fortschritt war die Einbeziehung der Senderseite in den Trainingsprozess"

Andreas Rößler spricht über das Mobilfunk-Forschungsprojekt neuronaler Empfänger mit NVIDIA.

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27.03.2025

Herr Rößler, eine Demonstration des neuronalen Empfängers wurde erstmals auf dem Mobile World Congress 2023 gezeigt. Wie war die Resonanz aus der Branche?

Auf dem MWC 2023 war das Thema KI/ML aus der Perspektive der drahtlosen Kommunikation und der nächsten Generation des Mobilfunks noch nicht so prominent vertreten wie 2024 oder 2025. Rohde & Schwarz und NVIDIA haben hier Neuland betreten. Das Besondere an unserer Demonstration ist, dass sie von zwei unabhängigen Industriepartnern stammt. Dafür wurden die Lösungen beider Unternehmen integriert und im Zusammenspiel getestet. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben und führte zu großem Interesse, sowohl aus reiner Neugier als auch aus tieferem fachlichen Interesse.

Wichtig waren für uns auch die Gespräche mit unseren Kunden aus der Chipsatz- und Modementwicklung, der Infrastrukturherstellung und Mobiltelefonproduktion. Thematisch ging es dabei um das gewählte Szenario, die resultierenden Herausforderungen, die technischen Hintergründe und Details sowie die gewonnenen Erkenntnisse.

Was hat sich seitdem in dem Projekt getan?

Seit dem MWC 2023 haben wir das Projekt kontinuierlich weiterentwickelt. Der bedeutendste Fortschritt war die Einbeziehung der Senderseite (TX) in den Trainingsprozess. Wir gehen davon aus, dass KI-basierte Signalverarbeitung in einer ersten Version des 6G-Standards zunächst auf der Netzwerkinfrastruktur, also der Basisstation, eingesetzt wird. Dies liegt an der Komplexität und dem erforderlichen Rechenaufwand, was einen erhöhten Strombedarf zur Folge hat. Diese Herausforderung ist weiterhin Gegenstand intensiver Forschung, um die Effizienz zu verbessern.

Wo kommt die Senderseite ins Spiel?

Sie kann ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten. Wir sprechen dann von sogenannter customized constellation oder non-uniform constellation. Das bedeutet, dass die bestmögliche Konstellation für das gewählte Modulationsverfahren unter Berücksichtigung des Mobilfunkkanals während des Trainingsprozesses erlernt wird. Wir haben das Modell des neuronalen Empfängers entsprechend erweitert und unseren Messgeräten, dem R&S®SMW200A Vektorsignalgenerator und dem FSW Signal- und Spektrumanalysator, die Funktionen der aktuellen 5G-Option hinzugefügt. Jetzt kann jeder einzelne Konstellationspunkt in Amplitude und Phase in der IQ-Ebene, basierend auf dem gelernten KI-Modell, neu definiert werden.

Bild 1: Testaufbau für neuronalen Empfänger

Der Messestand auf dem Mobile World Congress 2024 von Rohde & Schwarz zeigt den Testaufbau für den neuronalen Empfänger mit Signalgenerator und Empfänger (links).

Der Vorteil ist, dass im Sendersignal keine Pilotsignale mehr nötig sind und diese Ressourcen nun für die Datenübertragung zur Verfügung stehen. Dadurch wird die gesamte Übertragung effizienter. Unsere Analysen zeigen Effizienzgewinne von bis zu 7 %. Andere Literatur geht von einer Steigerung der spektralen Effizienz um bis zu 14 % aus. Dies hängt jedoch stark von der gewählten Konfiguration und der Häufigkeit der Pilotsignale ab.

Wie wird die KI auf den Funkkanal trainiert?

Das Training erfolgt offline mittels NVIDIAs SIONNA-Software. Neuronale Empfänger neigen zu sogenanntem Overfitting, also einer Überanpassung, wenn sie für ein spezifisches Kanalmodell trainiert werden. Das ist im Allgemeinen unerwünscht. Deshalb wurde unser Empfänger für das UMi-Kanalmodell von 3GPP für verschiedene Dopplerverschiebungen und Doppler-Spreizungen mit dem Ziel trainiert, zu generalisieren und möglichst viele Szenarien abzudecken.

Um die Ergebnisse vergleichbar zu machen, basiert der neuronale Empfänger auf dem aktuellen 5G New Radio Standard. Trainiert wurde der Empfänger auf das Modulationsverfahren 16QAM. Da die QAM-Konstellation in die trainierten Gewichte der neuronalen Netzarchitektur eingebettet sind, ist ein erneutes Training erforderlich, wenn die Modulation auf QPSK, 64QAM oder sogar 256QAM geändert werden soll. Anders gesagt: Für unterschiedliche Modulationen braucht es unterschiedliche KI-Modelle.

5G basiert auf OFDM, einem Mehrträger-Verfahren. Das Modell ist auf einen Unterträgerabstand von 30 kHz trainiert, wie ihn alle kommerziellen 5G-Netze im TDD-Modus verwenden. Analog zum Modulationsverfahren ist auch hier erneutes Training erforderlich, wenn der Unterträgerabstand auf 60 kHz geändert werden soll.

Die Messkurve aus Bild 1 im Image-Slider wird in einem unserer Videos zum neuronalen Empfänger (Bild 2 im Image-Slider) gezeigt. Was zeigt diese Messkurve und was sagt es über die Leistungsfähigkeit des neuronalen Empfängers aus?

Leistungsbewertung eines neuronalen Empfängers
Image-Slider Bild 1: Neuronaler Empfänger im Vergleich mit klassischen Empfängern
#ThinkSix - Validating a Machine-Learning Based Neural Receiver with 5G NR Multiple MIMO Signals
Image-Slider Bild 2: Video zum neuronalen Empfänger. Die Messkurve wird ab Minute 4:10 diskutiert.

Hier wurde zur Leistungsbewertung die Transportfehlerrate, im Englischen auch Block Error Rate genannt, über das Signal-Rausch-Verhältnis aufgetragen und für vier verschiedene Empfänger-Implementierungen verglichen.

Die schwarze Kurve stellt die Leistung in einem idealisierten Szenario dar, bei dem das Kanalverhalten vollständig bekannt ist. Dies repräsentiert das theoretisch erreichbare Limit. Mehr geht nicht. Die grüne Kurve gehört zum neuronalen Empfänger, orange und blau zu zwei konventionellen Implementierungen.

Bei der ersten konventionellen Implementierung wird die Kanalabschätzung mit der Methode der kleinsten Quadrate vorgenommen und anschließend einen linearen MMSE-Multi-User-MIMO-Detektor verwendet, der Interferenzen auslöscht. Dies ist die blaue Kurve. Im Vergleich zu den anderen Szenarien hat diese Implementierung eine relativ geringe Rechenkomplexität und stellt den Fall einer praktischen Basisimplementierung dar.

Die zweite konventionelle Implementierung, zu der die orangene Kurve gehört, basiert auf der Maximum-Likelihood-Schätzung. Sie ist komplexer und damit rechenaufwendiger. Der neuronale Empfänger übertrifft dieses Konzept nicht, kommt ihm jedoch sehr nahe und erfordert wesentlich weniger Rechenaufwand. Alle vier Kurven basieren auf Simulationen mit denselben Eingabedaten.

Neben den Simulationskurven sind auch Messpunkte eingezeichnet.

Hier kommen nun die Rohde & Schwarz Messgeräte ins Spiel. Wir verwenden den zuvor erwähnten Aufbau aus Signalgenerator und Messempfänger, um 3GPP 5G NR-konforme Signale zu erzeugen. Diese Daten werden in die neuronale Empfängerarchitektur eingespeist. In diesem Beispiel durchlaufen wir den SNR-Bereich, beginnend bei -1 dB. Für jeden Schritt erhöhen wir das SNR um 1 dB. Das ist in der Software hinterlegt, die den Testaufbau kontrolliert.

In der Demo nehmen wir zwei Nutzer an, die einen unterschiedlichen Kanal erfahren. In diesem Beispiel erlebt Nutzer 1 das TDL-B-Modell mit 100 ns Verzögerungsausbreitung und 400 Hz Dopplerfrequenz. Für den zweiten Nutzer war es TDL-C mit 300 ns Verzögerungsausbreitung und einer Dopplerfrequenz von 100 Hz. Die gezeigten Kurven sind der querschnittliche Durchsatz, der für das eingestellte Signal-Rausch-Verhältnis erreicht wird. In der Messung mit dem Testaufbau wird nur die (simulierte) grüne Kurve nachgemessen.

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